Michael Heuchemer
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Dr. Michael Heuchemer

  
Strafverteidigung – Leitidee und Ziel
Wie verstehen wir die Aufgabe der Strafverteidigung? Jeder Verteidiger hat seine vom Gesetz vorgesehene Aufgabe als „rechtsstaatlicher Garant der Unschuldsvermutung für den Beschuldigten“ (Prof. Dr. Claus Roxin, Festschrift Hanack S. 1, 8) aufrecht, mit Ernst und Überzeugung wahrzunehmen und dabei „Wächter der Freiheit im Kampf um die Rechte unserer Mandanten“ (Prof. Gatzweiler, Anwaltsblatt 2005, 668) zu sein. Die schönste Kurzformel des Geistes der Verteidigung, die wir für richtig halten, hat Herr Kollege Prof. Gatzweiler wie folgt gefasst: „stolz und mit aufrechtem Gang, aber immer mit Bodenhaftung; strategisch und kreativ, aber immer sachlich; konfliktbereit und kämpferisch, aber immer fair“ (Anwaltsblatt 2005, 668). So verstehen wir den gesetzlichen Auftrag des Instituts der Strafverteidigung im Kampfe für den Mandanten – unserer Meinung nach genau so, wie es vom Gesetzgeber der StPO vorgesehen. Für den heutigen Begriff vielleicht in etwas zu pathetische Worte gefasst, hat Rudolph von Jhering doch das Richtige formuliert, wenn er sagte: „Die Blüthezeit der Freiheit ist zugleich die Periode der peinlichsten Strenge in der Form…Die Form ist geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit.“ Moderner fasst der große Doyen des Berliner Strafrechts Gerhard Jungfer diesen Gedanken in seinem Kanzleimotto zusammen: „Die Berufsaufgabe des Strafverteidigers ist es, dafür zu sorgen, dass das prozessuale und materielle Recht eines Rechtsstaats eingehalten wird. Dies ist das Primäre, die Frage der Schuld oder Nichtschuld stellt sich dann nicht dominierend. Diese Motivation der Verteidigung ist dann nicht eine einzelfallbezogene, sondern rechtsstaatsbezogen.“

Man nehme den Fall des nach einem fragwürdigen Verfahren verurteilten Attentäters D.R. Warum fragwürdig? Während an der Täterschaft an sich kein ernstlicher Zweifel bestehen kann, ist mit Händen zu greifen, dass im Verfahren maßgebliche Konventionsrechte und rechtsstaatliche Grundvorgaben des Verfassungs-, Beweis- und Beweisverwertungsrechts verletzt wurden.

Warum waren direkt nach der Festnahme maßgebliche Beweismittel aus dem Fahrzeug des Verdächtigen verschwunden?

Warum entzieht man bei einem offensichtlich zu Spruch stehenden Verbrechen den Pflichtverteidiger?

Warum zog man Tagebuchaufzeichnungen aus seiner Zelle als höchstpersönliche Bekundungen offensichtlich rechtswidrig heran.

Warum findet man bis heute intime, offen als vertraulich gekennzeichnete medizinische Unterlagen, auch solche der Untersuchungen des Verdächtigen im Kindesalter, psychologische Unterlagen, Analyseergebnisse von Körperflüssigkeiten im Internet-wobei nur Behörden als Quelle in Betracht kommen, was die Kennzeichnung auch zeigt?

So ist unverständlich, warum man berechtigter Kritik eine unterschwellige klammheimliche Sympathie für die Tat – perfiderweise und unfairerweise – unterstellt oder dies konnotiert. Dies ist abwegig und unsachlich. Ein Verteidiger verteidigt nie die Tat, sondern den Verdächtigen im Prozessrecht und materiellen Recht der Verfassung.

Das System ist größer und würdiger als das konkrete, noch so drängend erscheindende Verurteilungs- und Durchführungsinteresse – und mag sich an das selbst gegebene Wort des Verfassungs- und Konventionsgesetzgebers halten.

So stimmten auch Kongressabgeordnete in den Chor der Kritiker am Verfahren ein, die der Sympathie für eine Tat und einen Täter sicher nicht verdächtig sind. Im Anschluss an die Entscheidung die Entscheidung Indiana v. Edwards, 554, U.S. 164 (2008) des United States Supreme Court, worin entgegen einer abweichenden Auffassung Richter Scalia richtigerweise und entgegen Faretta v. California, 422, U.S. 806 (1975), angenommen wurde, dass in gewichtigen Verfahren unverfügbar für einen Angeklagten - der den Überblick über die Tragweite insofern nicht besitzen kann – die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers zwingend erforderlich ist (554 US 164; 128 S. CT 2379, 171, entwickelte sich daraus die insofern hervorgegangene Initiative im Repräsentantenhaus durch Ayanna Pressley und Cori Bush; deshalb steht der Fall nun auch seit Frühjahr 2021 zur Überprüfung vor dem 4th US Circuit Court of Appeal, eine Rolle spielend im Verfahren United States vs. Roof Urt. vom 15.12.2016 und den aktuellen Wiederaufnahmebemühungen; der Fall wirft schwerwiegende Fragen der Legitimität einer Verurteilung unter Vorenthaltung des nach der Sachlage unbedingt gebotenen Verteidigerbeistands zu Höchstsanktionen auf). Dies ist wesentlich auch für die Grundlagen der Rechtsstellung des Gefangenen in grundsätzlicher Hinsicht. In diesem Sinne versteht sich auch unser Schreiben an Präsident Biden, flankiert von namhaften Juristen.

Die Rückbesinnung auf die Trennung von Recht und Moral, von Verfassungsrecht und „Volkszorn“ ist elementar wichtig.

Im Editorial der NStZ 11/20 hat der vormalige Vorsitzende Richter am BGH Prof. Dr. Thomas Fischer betont, dass eine Urteilsbegründung ein denkbar unpassender und peinlicher Ort sei, um einen Verurteilten noch Sträuße moralischer Entrüstung nachzuwerfen.

Der Wortlaut ist:

„Dieser Eindruck täuscht. Urteilsverkündungen – und erst recht die vorangehenden Hauptverhandlungen – sind ein wirklich unpassender Platz, um allgemeine rechtspolitische Reden zu halten, Verfahrensbeteiligte wegen angeblicher Fehlleistungen im Prozess zu schmähen oder soeben Verurteilten noch einen Strauß moralischer Entrüstung nachzuwerfen.“ Der Verhaftete, seiner Freiheit beraubte, dem Verfahren Ausgesetzte muss seine Rechte behalten. Dies ist Verfassungs- und Konventionskonsens.

Die Rechtsanwendungsgleichheit ist Grund- , Ur- und Leitprinzip des Verfassungsstaats schlechthin.

Pathetisch, aber dem Rang des Gebots durchaus angemessen könnte man sagen: Sie ist der Grund, warum die Allegorie der Justitia die Augen verbunden trägt. Ein Rechtssystem agiert selbstwidersprüchlich und verletzt seine ursprünglichsten Fundamente, wenn es einerseits die (auch rechtsphilosophische) Legitimität des Strafens aus der Gleichheit und Rechtsanwendungsgleichheit schöpft und andererseits die Verkürzung dieses Prinzips nicht nur duldet, sondern in kontroversen Verfahren um eines kurzfristigen Vorteils willen sogar aktiv fördert und proklamiert-und Selbstkorrekturen unmöglich macht.



Wer sich – als Kollege oder Mandant - vertiefend für diese Schule interessiert, wird bestens informiert durch den Aufsatz „Psychologie des Vergleichs im Strafverfahren“ von RA Gerhard Jungfer, Strafverteidiger 2007, S. 380 ff. und den von RA Dr. Jürgen Taschke (dem langjährigen Chef von RA Dr. Heuchemer) herausgegebenen Buch „Max Alsberg – ausgewählte Schriften“ Nomos-Verlag Baden Baden; vgl. auch www.alsberg.de.